Berlin Afrikanische Kunst der Gegenwart strahlt ein neues Selbstbewusstsein aus. Während die Folgen der Kolonialherrschaft sich in aller Brisanz in der aktuellen Raubkunst-Diskussion niederschlagen, haben sich zeitgenössische Künstler dieses Kontinents eine unauslöschliche eigene Identität geschaffen. Auf dem Kunstmarkt reüssieren afroamerikanische und afroeuropäische Kunstschaffende mit wachsendem Erfolg in dem Maße, in dem das vorwiegend auf Kunst aus Europa, Amerika und China fixierte Interesse sich neue prosperierende Sammelgebiete erschließt.
Weltausstellungen wie die Biennale in Venedig und die Kasseler Documenta haben afrikanische Kunst schon seit den 1990er-Jahren im Programm. Da machten Einzelkünstler mit großer Ausstrahlung wie Kerry James Marshall in Alabama, Yinka Shonibare in London, Georges Adéagbo in Benin und Churchill Makidia in Johannesburg mit charakteristischen Arbeiten Furore.
2004 startetet die Augen öffnende Ausstellung „Afrika Remix“ von Jean-Hubert Martin im Kunstpalast Düsseldorf. Ihre Tournee führt sie auch nach London, Paris und Tokio. Allein in der Documenta XII figurierten 2007 nicht weniger als neun Künstler mit Wurzeln in Afrika.
Jüngstes Produkt einer panafrikanischen Blütenlese ist die mit Werken von 28 Künstlern bestückte, 2019 in Casablanca eröffnete Wanderschau „Prête-moi ton Rêve/Leih mir deinen Traum“, die in fünf weitere afrikanische Städte reiste.
2019 war ein starkes Jahr für die Präsenz afrikanischer Kunst auf der Weltbühne. Der Pavillon Ghanas in der Biennale in Venedig, die gut besuchte Contemporary African Art Fair „1–54“ in London und die erste in Westafrika organisierte Kunstmesse „Art X“ in der Acht-Millionen-Stadt Lagos waren Fixpunkte einer neuen Geschmackspflege, die das Spektrum etablierter Kunstrichtungen marktfördernd erweitert.
Auf der letzten African Art Fair im Oktober 2020 im Londoner Somerset House waren Werke von 110 anerkannten und aufstrebenden Künstlern ausgestellt. Im Januar hatte diese Messe sogar einen Ableger im Pariser Hauptquartier von Christie’s. Im europäischen Ausstellungsprogramm 2021 der Megagalerie Hauser & Wirth haben vier Kunstschaffende Wurzeln in Afrika: Afroamerikaner Charles Gaines, Henry Tailor, Ellen Gallagher und der Brite Frank Bowling. Das gibt neuen Auftrieb.
Die Auktionshäuser hatten schon vor gut zehn Jahren den richtigen Riecher. Vorreiter ist das Londoner Auktionshaus Bonhams, das seit 2009 zunächst Auktionen südafrikanischer Kunst abhält. Seit 2015 kommen unter dem Label „Africa Now“ Werke von Künstlern des gesamten Kontinents unter den Hammer. Noch stark in Erinnerung ist der Rekordpreis von drei Millionen Pfund, den die Museen von Qatar im Mai 2011 bei Bonhams für das Porträt „Arab Priest“ der südafrikanischen Klassikerin Irma Stern (1894 – 1966) einsetzten.
Die Malerin ist nicht in Afrika geboren. Sie stammt aus einer deutsch-jüdischen Emigrantenfamilie und hatte großen Einfluss auf die südafrikanische Porträtmalerei. Im kommenden März wird in dem Londoner Haus ein vergleichbares, im selben Jahr 1945 entstandenes Porträt, „Araber mit Dolch“, versteigert, das vorsichtig auf 700.000 bis eine Million Pfund angesetzt ist.
Langsame Reaktion der Sammler
2020 veranstaltete Bonhams fünf Auktionen zeitgenössischer afrikanischer Kunst. Der Experte Giles Peppiatt betont rückblickend im Magazin „African Business“: „Der Markt brauchte zwei Jahre zu verstehen, was wir taten, und drei oder vier Jahre brauchten die Sammler, um zu sagen: Ja, das ist ein Markt, in den wir einsteigen sollten.“
Sotheby’s warb 2016 Hannah O’Leary, die Spezialistin moderner und zeitgenössischer afrikanischer Kunst, von Bonhams ab und veranstaltet seit 2017 zweimal jährlich Spezialauktionen dieses Sammelgebiets.
Diese Versteigerungen hatten im letzten Jahr einen 30-prozentigen Zuwachs an Bietern aufzuweisen. Hier erlöste im Oktober eines der goldfarbigen, aus Flaschenverschlüssen und Kupferdraht modellierten Tuch-Reliefs des ghanaischen Bildhauers El Anatsui eine Million Pfund. Im Jahr zuvor hatte eine Retrospektive des heute 77-Jährigen, die von München nach Doha, Bern und Bilbao wanderte, seine Marktposition gestärkt.
Bei Christie’s wird vor allem südafrikanische Kunst in gemischten Auktionen in London, New York und Hongkong ausgeboten. In Hongkong erzielte im Dezember 2020 ein Porträt des ghanaischen Malers Amoako Boafo umgerechnet 1,2 Millionen US-Dollar.
Im Februar hatte der kalifornische Sammlerspekulant Stefan Simchowitz das erst 2019 entstandene Gemälde „The Lemon Bathing Suit“ bei Phillips eingeliefert, wo es den Spitzenpreis von 675.000 Dollar erzielte. Bloomberg, dem Medienunternehmen für Wirtschaftsnachrichten, klagte der Künstler sein Leid: „Jetzt macht er Profit. Es ist so traurig, das Bild ist so frisch.“ Bis dato hatten Boafos Preise im Primärmarkt bei maximal 50.000 Dollar gelegen.
Erste Auktion bei Phillips
Afroamerikanische Künstler erscheinen seit einem Jahrzehnt in den New Yorker und Londoner Versteigerungen moderner und zeitgenössischer Kunst von Phillips. Die erste Auktion „Africa“ startete 2010. Sie erlöste damals noch bescheidene 1,4 Millionen Dollar und hatte Rückgänge von 38,7 Prozent zu verkraften.
n den folgenden Jahren wurden eben diese Künstler in das internationale Angebot integriert, was mit starken Preisen belohnt wurde. Den Gipfel erreichte im Dezember 2020 das Gemälde „The Bathers“ der Afroamerikanerin Amy Sherald, das den Rekordpreis von 4,3 Millionen Dollar erzielte – das Zwanzigfache der Schätzung.
Auch dieses Ganzporträt zweier schwarzhäutiger Frauen in Badeanzügen war erst 2015 entstanden, was den Spekulationsaspekt unterstreicht. Solche Werke haben wie die Bilder von Boafo und die Familienszenen von dem zurzeit noch bis 140.000 Dollar notierenden Kongolesen Chéri Samba ikonischen Charakter. Das steigert ihre Begehrlichkeit.
Ein fünftes Unternehmen, das sich in aller Breite afrikanischer Kunst widmet, ist die 2007 in Lagos gegründete Auktionsfirma Arthouse, die zweimal jährlich entsprechende Versteigerungen abhält. Seit 2016 offeriert sie auch unter dem Label „The Affordable Art Auction“ Arbeiten aufstrebender afrikanischer Künstler, deren Schätzpreise meist nicht über 3500 Dollar liegen.
Phänomenale Werke zu entdecken
„Es ist definitiv eine Kombination von namhaften, aufstrebenden und relativ unbekannten Künstlern afrikanischen Ursprungs, die unglaublich talentiert, kreativ sind und phänomenale Werke schaffen.“ So beschreibt der in Nigeria aufgewachsene Washingtoner Naturwissenschaftler Olusanya Ojikutu seine Sammelstrategie in einem Interview mit der Sammlerplattform Larry’s List.
In seinem repräsentativen Washingtoner Haus kombiniert er traditionelle afrikanische Plastik aus Mali, Gabun und Burkina Faso mit Werken der Gegenwartskunst. Olusanya Ojikutu verweist auf eine wachsende Sammlerszene, die unter anderem von dem New Yorker Kunstberater Seble Asfaw und dem Instagram-Anbieter @Bluchipart an die afrikanische Kunst herangeführt wird.
Ojikutu ist nicht der einzige Sammler, der Künstler des afrikanischen Kontinents und seiner Diaspora erwirbt. Banker und Industrielle aus Nigeria, Ghana und dem Senegal pushen den Markt, der auch die Fotokunst erfasst hat. 70 Prozent der Käufer afrikanischer Kunst in den 2019 abgehaltenen Spezialauktionen von Bonhams waren Afrikaner. Eine der umfassendsten Sammlungen von Kunst des afrikanischen Kontinents beherbergt das 2016 gegründete Museum Al Maaden in Marrakesch.
Das „MACAAL“ ist eines der ersten von Privatsammlern gegründeten Spezialmuseen. Dessen Direktor Othman Lazraq sammelt selbst zeitgenössische afrikanische Fotokunst.
Ein Handicap ist, dass afrikanische Staaten kaum in die kulturelle Produktion und Infrastruktur investieren. So muss die Anerkennung ihrer Künstler weitestgehend über westliche Kanäle – Auktionen, Kuratoren, Messen, Kunstberater – funktionieren. Aber langfristig sind die Aussichten gut. Immer mehr Museen kaufen Werke afrikanischer und afrikanischstämmiger Künstler an. Ihr Markt ist trotz eines Dämpfers im Jahr 2019, wo die Umsätze wegen weniger spektakulärer Auktionen um elf Prozent zurückgingen, einer der zukunftsträchtigsten Märkte.
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